Niederdeutsch - Heimatbund Lauenburg

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Niederdeutsch

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Einstieg
WOL GOT VORTRUWET DE HEFT WOL GEBUWET. HINRICK STARCKE ANNO 1579. So steht es seit Jahrhunderten auf dem Giebelbalken am Fachwerkhaus Elbstraße 65/67. Etwas später heißt es am sog. Fährleutehaus in der Elbstraße 119: WEHR GODT VORTRAVWET HAT WOL GEBAVWET IM HIMMEL VND AVF EHRDEN. ANNO 1649 DEN 16. IVLIV.

Gerade diese Zeilen finden sich oft an den alten Bürgerhäusern in Norddeutschland. Für diejenigen, denen diese Worte fremd vorkommen, übersetzt auf Hochdeutsch: Wer Gott vertraut der hat wohl gebaut. Diese fromme Inschrift soll sowohl das Haus als auch seinen Bauherrn und seine Baumeister schützen - im Leben und nach dem Tod.

Noch mehr Gottvertrauen spricht aus diesem Spruch: DE SEGEN DES HEREN MAKET RICK ANE MOIIE. MEIN ANFANCK UND ENDE STEIT ALLES IN GADES HENDEN. DIT HUS IS GEBUWET ANO 1607. Das heißt: Der Segen des Herren macht reich ohne Mühe. Mein Anfang und Ende steht alles in Gottes Händen. Dies Haus ist gebaut im Jahr 1607. So steht es am sog. Findorff-Haus im Hohlen Weg 3.

Wer mit aufmerksamen Blick durch unsere Altstadt, aber auch durch zahlreiche Innenstädte schlendert, findet oft Balken mit Sprüchen auf Niederdeutsch - aber auch an den wenigen erhaltenen Bauernhäusern in den Dörfern. Was es sich mit dieser zweiten Sprache im Norden unseres Heimatlandes auf sich hat, erfahren Sie hier.
Gebiet
Im Wesentlichen umfasst das Sprachgebiet 1)  die fünf norddeutschen Küstenländer und die Nordteile von Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, also acht der sechzehn Bundesländer. Anders ausgedrückt: von der Ems und dem Niederrhein bis zur Oder, von den Küsten bis zum Rand der Mittelgebirge und über den Harzkamm.
Recht
In Schleswig-Holstein stehen nach der „Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ unter Schutz: Dänisch, Nordfriesisch, Romani (diese drei als Minderheitensprachen) und Niederdeutsch als Regionalsprache. Das Land Schleswig-Holstein hat aus der Charta für die niederdeutsche Sprache 35 Einzelverpflichtungen übernommen.

Die Landesverfassung vom 2. Dezember 2014 existiert in einer Hoch- und einer Niederdeutschen Version. Artikel 12 regelt das Schulwesen. In Absatz 6 heißt es: „Das Land schützt und fördert die Erteilung von Friesisch-Unterricht und Niederdeutsch-unterricht in öffentlichen Schulen.“ Artikel 13 betrifft „Schutz und Förderung der Kultur“. Absatz 2 sagt aus: „Das Land schützt und fördert die Pflege der niederdeutschen Sprache.“ 2)
Namen
Die westgermanische Sprache in Norddeutschland wird zuweilen auch als Plattdeutsch oder nur Platt bezeichnet. Ob es zwischen den Begriffen Niederdeutsch und Plattdeutsch einen Unterschied gibt? Lassen wir es dahingestellt. Und Platt bedeutet nicht etwa niedrig oder schlecht angesehen. 3) Es ist auch falsch zu glauben, dass sich die Bezeichnung „Platt“ vom flachen Land ableitet. Zum ersten Mal tauchte der Begriff in den Niederlanden im 16. Jahrhundert auf und bedeutete so viel wie „verständlich“, „vertraut“, „deutlich, „rund heraus“. 4)

Daneben finden wir den Ausdruck Niedersächsisch, 5) also die Sprache des germanischen Stammes der Sachsen, deren Altsiedelgebiet bis an Eider, Schwentine, Trave, Elbe und Saale reichte und der sich später in den slawischen (= wendischen) Sprachraum bis nach Hinterpommern ausdehnte. Unterschiede gibt es u.a. in der Mehrzahl-Bildung, also der Einheits-Plural mit -(e)t oder mit -(e)n: 6)

Person
Hochdeutsch
Westnieder-deutsch
Ostnieder-deutsch
1. Person Plural
wir machen
wi mak(e)t
wi maken
2. Person Plural
ihr macht
ji mak(e)t
ji maken
3. Person Plural
sie machen
se mak(e)t
se maken
Dialekte
Innerhalb dieses großen Sprachraumes werden zahlreiche Dialekte unterschieden, die zu West- und Ost-Niederdeutsch zusammengefasst werden. 7) Lauenburg bildet den östlichen Zipfel der West-Dialekte. Wir kennen hier das lange o wie in got (goot, = gut), grot (groot, = groß), to (too, = zu), Koh (= Kuh). Die Steigerung ist grötter (= größer), die Mehrzahl ist Köh (= Kühe). Nördlich und östlich gilt die sog. Lauthebung: Das lange o wird zu au, das lange ö zu äu, also gaut, tau, Kauh und entsprechend Käuh. Weiterhin haben wir im Westen das lange e wie in he (= er), se (= sie), de (= der, die), Perd (= Pferd). Im Osten wird daraus ein ei wie in hei, sei, dei, kann aber auch ein langes i (ie) werden wie in Pierd. Also: Bitte bleiben wir in unserem einen Dialekt und mischen nicht mehrere.

Kennzeichnend für weite Teile des Sprachgebietes ist der Verzicht der Wandlung des s zum sch im Anlaut (also Slott statt Schloss, Smeer statt Schmiere, Snei statt Schnee, Swien statt Schwein, Speel statt S[ch]piel, Steen statt S[ch]tein, aber Schrot bleit Schrot und wird nicht zu Srot).

Niederdeutsch insgesamt nur als Dialekt zu bezeichnen geht fehl, da wir eine eigene Grammatik kennen, wie auch im Niederländischen, welches auch als eigenständige Sprache anerkannt wird.
Geschichte
Die sog. 2. Lautverschiebung, 8) die wir im Hochdeutschen vom 5. bis 10. Jahrhundert kennen, hat das Niederdeutsche nicht mitgemacht. Wichtigstes Merkmal der althochdeutschen Lautverschiebung ist die Verschiebung der Konsonanten /p t k/ entsprechend ihrer Stellung im Wort entweder zu /pf ts ch/ oder zu /ff ss hh/. 9) Betroffen waren davon vor allem die stimmlosen Verschlusslaute (der Luftstrom wird während der Artikulation unterbrochen und danach gelöst), die sich je nach Lautumgebung (zwischenvokalisch, Doppellaut, An- und Auslaut) gewandelt haben. Weitere Varianten kamen hinzu. Vereinfacht ausgedrückt wurde dabei das b zu p, d zu t (wie Dag zu Tag) und g zu k. Ferner wurde t auch zu s (dat zu das) oder ss (eten zu essen) bzw. ß (Strat zu Straße), auch zu z (Tied zu Zeit) oder tz (sitten zu sitzen). Aus k konnte ein weiches ch werden (wie in ick zu ich, maken zu machen). Sprachgrenzen sind die von West nach Ost verlaufende Benrather Linie (maken/machen, von Düsseldorf-Benrath am Rhein nördlich Göttingen, Wittenberg, Berlin bis Frankfurt an der Oder) und der Uerdinger Linie (ik/ich). Aus dem p entstand damals das pf (aus Perd wurde Pferd), aus pp das ff (Schipp zu Schiff) – oder ein einfaches f (slapen zu schlafen). Die frühneuhochdeutsche Diphtongierung (Zwielaute au, eu und ei) ab dem 12. Jahrhundert fand hier nicht statt, die langen Vokale blieben erhalten; min, din, sin und nicht mein, dein und sein; Hus und nicht Haus, hüt und nicht heute. 10)
Erste Sprachzeugnisse finden wir aus der Zeit Kaiser Karls des Großen. Niederdeutsch wurde damals auch Literatursprache. In der mittelniederdeutschen Zeit diente diese Sprache der Chronik- und Rechtsliteratur. Berühmtestes Beispiel ist der „Sachsenspiegel“ des Eike von Rebgow von 1225 (eine Seite davon rechts im Bild). 11) Die Erzählung „Reinke de Vos“ (1498) gilt als „Gipfelpunkt der mittelniederdeutschen Literatur“.

Mit dem Aufstieg der Hanse, dem norddeutschen bzw. nordeuropäischen Kaufmanns- und Städtebund, begann die Blütezeit des Mittelniederdeutschen. Von Lübeck ausgehend entwickelte sich eine niederdeutsche Schriftsprache als Ausgleichssprache für den gesamten Raum, die die darin vorkommenden niederdeutschen Mundarten überdachte. Mittelniederdeutsch wurde zur Verkehrs- und Rechtssprache im Einflussgebiet der Hanse. Niederdeutsch war auch Kanzleisprache, in der Urkunden und Verträge ausgestellt wurden, auch in Skandinavien und im Baltikum. Wäre diese nordeuropäische Handelsgemeinschaft nicht durch den entstehenden Welthandel bedeutungslos geworden, hätte das Niederdeutsche zur allgemeinen deutschen Sprache werden können. 12) Oder Deutschland wäre zweisprachig geworden – wie wir es aus anderen Nationen wie Frankreich und Spanien kennen.
Durch die deutsche Besiedlung und Eroberung im slawischen Siedlungsgebiet breitete sich das Mittelniederdeutsche nach Osten aus und bildete neue niederdeutsche Dialekträume, wie z. B. das Brandenburgische oder das Mecklenburgisch-Vorpommersche. Das Sprachgebiet erlitt aber bald große Einbußen, besonders an der Südostgrenze. Städte, die ursprünglich niederdeutsch waren, gaben durch ihre wirtschaftliche und politisch-kulturelle Nähe zum mitteldeutschen Sprachraum zwischen 1350 und 1450 die niederdeutsche Schriftsprache und später auch ihre niederdeutsche Mundart auf und wechselten zum Mitteldeutschen. Aufgrund veränderter Machtstrukturen kamen den Städten ihre wirtschaftlichen und politischen Eigenständigkeiten abhanden, und sie waren bei der notwendigen Korrespondenz mit Reichsinstitutionen und Landesfürsten, deren Kanzleien recht früh zur hochdeutschen Schriftsprache wechselten, auf die Übernahme des Hochdeutschen angewiesen. 13)

Die kirchliche Reformation unter Martin Luther bekam der niederdeutschen Sprache nicht gut. Obwohl Johannes Bugenhagen die Bibel ins Niederdeutsche übersetzt hatte, wurde das Hochdeutsche zur Predigtsprache erklärt. Immer mehr Glaubenswerke wurden wörtlich übersetzt, immer mehr hochdeutsche Pastoren kamen in den Norden, die an hochdeutschen Universitäten ausgebildet wurden. Zwischen den gebildeten Hochdeutschen und dem eigentlichen Volk riss eine Kluft auf.

Die deutsche Reformation und den Buchdruck als Hauptursachen für die Verdrängung des Niederdeutschen zu sehen, stimmt dennoch nur zum Teil. Die fürstlichen Kanzleien hatten sich schon vorher für das Hochdeutsche geöffnet. Die Glaubensbewegung machte die heimische Sprache in Niederdeutschland noch einmal zu ihrem Werkzeug. 14) Doch 1622 wurde die letzte niederdeutsche Bibel gedruckt.

Anfang bis Mitte des 17. Jahrhunderts verlor das Niederdeutsche seine Funktion als Schriftsprache durch die gebietsübergreifende Übernahme des Hochdeutschen als Standardsprache. Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, um 1650, wurde fast nur noch auf Hochdeutsch geschrieben. Dies hatte zur Folge, dass wir zwar im Hochdeutschen eine einheitliche Rechtschreibung kennen, aber nicht im Niederdeutschen.

Niederdeutsch blieb als Sprache des Alltags vor allem im ländlichen Raum erhalten. Allerdings führte der Verlust einer überregionalen Schriftsprache dazu, dass das heutige Neuniederdeutsch - volkstümlich Plattdeutsch genannt - ein „Konglomerat von niederdeutschen Mundarten“ ist.
Bedeutung
Geblieben ist „die Geringschätzung einer Sprache, die als Ausweis von Provinzialität, Rückständigkeit und mangelnder Bildung missverstanden wird“. (Wolfgang Lindow, Plattdeutschen Wörterbuch 1984).

„Das Vorurteil, Niederdeutsch sei eine minderwertige Sprachform, beruht auf dem sprachsoziologischen Umstand, dass die Oberschicht Norddeutschlands sich dem Hochdeutschen zugewandt hatte. Heute kann jeder Hochdeutsch, Hochdeutsch hat seine Exklusivität verloren. Jetzt ist Niederdeutsch das zusätzliche Kommunikationsmittel, ist Niederdeutsch ein besonderes Exklusivitätsmerkmal.“ (Willy Sanders, 1979 bis 2000 Professor für Deutsche Philologie [Deutsch und Niederdeutsch] an der Universität Bern).

„Das Niederdeutsche ist in seiner Existenz bedroht: Seit den 1950er und 1960er Jahren fand ein Sprachwechsel in den Familien statt, die Sprache wurde immer stärker vom Hochdeutschen verdrängt. Plattdeutsch galt über einen langen Zeitraum als Bildungshemmnis. Erst seit den 1990er Jahren begannen die Menschen, den Wert der Regionalsprache wieder zu erkennen. Bedingt durch den Verlust einer ganzen Sprechergeneration ist die natürliche Weitergabe des Niederdeutschen über die Familie nicht gewährleistet, so dass der institutionellen Vermittlung eine immer größere Bedeutung bekommt. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts findet Niederdeutsch verstärkt Einzug in Kindergärten, Schulen und Universitäten, auch im Theater- und Musikbereich existieren gibt es zahlreiche Angebote auf Platt für Kinder und Jugendliche.“ (Niederdeutschsekretariat)

„Für mich ist Plattdeutsch die schönste Sprache der Welt. Höre ich jemanden Plattdeutsch sprechen, fühle ich mich Zuhause. Die Sprache ist ein Teil meiner Heimat. Man kann auf Platt schimpfen, lachen, aber auch ernste Themen ansprechen. Platt kommt immer von Herzen und ist ehrlich.“ („Lütt Mariken“ in den Mund gelegt von Johanna Bojarra, Referentin für Niederdeutsch, Rostock).

Endnoten:
7) CD-ROM: Brockhaus-Enzyklopädie digital 2008
9) Internet: www.platt-vorlesen-lsa.ovgu.de/Niederdeutsch.html von Gordon Musiol (November 2011)
11) Buch: Deutschland – Porträt einer Nation, Bertelsmann Lexikothek Verlag, Gütersloh 1986, Band 6, Seiten 394 – 396, Beitrag „Niederdeutsche Sprache und Literatur in Niedersachsen“ von Dieter Stellmacher.
12) Wie vor, Band 4, Seiten 106 – 116, Beitrag „Kleine Sozialgeschichte der Sprache“ von Alexander Deichsel
13) Siehe Note 9
14) Wie vor, Band 6, Seiten 203 – 206, Beitrag „Die niederdeutsche Sprache und Literatur in Schleswig-Holstein“ von Ivo Braak

Praxis
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Schrifttum
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